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Interview vom 14.01.2022 mit dem Schulleiter der Freien Evangelischen Oberschule Görlitz, Herrn Christian Haupt zum Thema

„Integration und Inklusion an einer Görlitzer Schule“

Herr Haupt, im Zuge einer Facharbeit beschäftige ich mich mit der Thematik Integration und Inklusion und möchte Ihnen einige Fragen dazu stellen. Danke, dass Sie sich dazu bereiterklärt haben!
Wie viele Kinder mit Behinderungen/ Beeinträchtigungen sind bei Ihnen in der Schule?
Von den derzeit 108 Schülerinnen und Schülern haben insgesamt neun Lernende einen diagnostizierten Förderbedarf, bei drei Lernenden läuft die Diagnose noch. Hinzu kommen weitere neun Schülerinnen und Schüler mit einer bestätigten Lese-Rechtschreib-Störung.

Handelt es sich bei den Erstgenannten ausschließlich um Kinder mit einer körperlichen -, oder auch geistigen Behinderung?
Wir unterrichten Kinder mit den Förderschwerpunkten „Körperliche und motorische Entwicklung“, „Emotionale und Soziale Entwicklung“, „Lernen“ und „Geistige Entwicklung“.
Bis zum letzten Schuljahr lernte auch ein Schüler mit dem Förderschwerpunkt „Sehen“ in unserer Schule.

Jedes Kind mit Förderstatus erhält eine individuelle Förderung.

Wie werden die Kinder in Ihrer Schule unterstützt?
Jedes Kind mit Förderstatus erhält eine individuelle Förderung. Diese wird zu großen Teilen durch die Kommune/den Staat bezuschusst. Es gibt Schulbegleiter, pädagogische Integrationsfachkräfte, Heilpädagogen, Schulsozialarbeiter. Für jedes förderbedürftige Kind wird in Zusammenarbeit mit den Genannten sowie der Klassenleitung und den Erziehungsberechtigten ein individueller Förderplan erstellt, der halbjährlich auf den Prüfstand kommt. Darin werden Ziele formuliert und angepasst, Erreichtes analysiert und dokumentiert.

Kinder können extra motiviert werden, zusätzliches Lernmaterial und Förderunterrichte erhalten, Nachteilsausgleiche wie die Verwendung von Hilfsmitteln, einer Zeitzugabe o.ä. gewährt bekommen und im Schulalltag nach verschiedenen Förderlehrplänen unterrichtet werden. Es gibt derzeit einen extra Raum, wo Lernende auch separat unterrichtet und betreut werden können. Grundsätzliches Ziel ist aber das gemeinsame Lernen. Im neuen Gebäude wird es mehrere Möglichkeiten geben, räumlich differenziert zu lehren und zu lernen.

Wichtig ist auch der intensive Kontakt mit dem Erziehungsberechtigten sowie der regelmäßige Austausch des Kollegiums und Teams über jeden einzelnen zu fördernden Schüler.

Ist die Schule barrierefrei aufgebaut?
Laut Gesetz bedeutet „barrierefrei“ eine bauliche Substanz, die für alle Menschen grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar ist. Daher muss ich die Frage mit nein beantworten, denn wir haben sowohl im derzeitigen wie auch zukünftigen Gebäude kein Blinden-Leitsystem. In beiden Gebäuden gibt es allerdings einen Fahrstuhl bzw. er ist eingeplant, sowie keine Schwellen, sondern bei Höhenunterschieden ggf. den Normen entsprechende schräge Ebenen.
Im neuen Gebäude sind Arbeitsplätze für Rollstuhlfahrer vorgesehen, besondere akustische Bauelemente für Menschen mit Hörbeeinträchtigung hingegen jedoch derzeit nicht.

Im neuen Gebäude sind Arbeitsplätze für Rollstuhlfahrer vorgesehen

Verfolgen Sie das Ziel der Integration oder Inklusion?
Die Sächsische Integrationsverordnung regelt die Aufnahme einzelner behinderter bzw. beeinträchtigter Kinder in Kindertageseinrichtungen und Schulen und schafft hierfür Bedingungen. Inklusion geht von einer gemeinsamen Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern mit
unterschiedlichen Voraussetzungen aus. Da die Freie Evangelische Oberschule den Menschen in seiner Ganzheit ansieht, sind wir ganz klar inklusiv unterwegs, nutzen aber die Integration, um zum Ziel zu kommen.


Werden die Kinder von einer besonderen Begleitperson im Unterricht betreut?
Zwei Schülerinnen und Schüler haben einen Schulbegleiter an ihrer Seite.
Jedem Schüler ist eine Integrations-Fachkraft zugeordnet, welche u.a. im Unterricht hospitiert sowie auch konkrete Fördermaßnahmen abspricht, einleitet und durchführt.

Wie erleben Sie und Ihr Team das Miteinander von Schülern mit und ohne Behinderungen in der Schule?
Ziel der Inklusion ist es, in jedem Menschen Verschiedenheit zu sehen und nicht einzelne Beeinträchtigungen als Makel oder Abweichung von der „Normalität“ einzuschätzen. Das Verschiedene ist die Normalität. Das versuchen wir zu leben, vorzuleben, zu erleben.

Auch die Mitschülerinnen und Mitschüler von denjenigen mit Förderbedarf lernen von Beginn an, dass unterschiedliche Voraussetzungen auch unterschiedliche Herangehensweisen nach sich ziehen. Schülerinnen und Schüler der Freien Evangelischen Oberschule Görlitz begegnen sich als Freunde, Lernpartner, Klassenkameraden, Störenfriede, Helfer, Leidensgenossen, Hungrige, Banknachbarn, Menschen. Unterschiede im Sinne von behindert und nicht behindert, von beeinträchtigt und nicht beeinträchtigt, von über- oder unterdurchschnittlich leistungsfähig, von „anders als ich“ sollen beim alltäglichen Miteinander keine Rolle spielen, ganz im christlich evangelischen Sinne.

Herr Haupt, ich danke Ihnen sehr, dass Sie sich die Zeit für mich genommen haben!
Sehr gern!

Das Interview führte T. Schneider.